Tobias Tagebuch: Besuch in Palermo.

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Resozialisierung

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In Palermo trifft Hoffnungsträger-Stifter Tobias Merckle in Begleitung von Mitarbeitenden der Hoffnungsträger-Partnerorganisation PFC eine Gesprächsgruppe des Versöhnungs-Programms, Teilnehmende sind Opfer der bewaffneten Bürger-Konflikte in Kolumbien.

 

Es ist das erste Treffen. Sie haben von Nachbarn gehört, wie wertvoll die Programmteilnahme war. Maria* berichtet, dass ihr Bruder umgebracht wurde. Er wurde verdächtigt, ein Informant der FARC-Guerilla* zu sein.

Weiter wird von Gewalt in den Vierteln Palermos berichtet, dabei sind die Menschen ja hierher geflohen, um sicher zu sein. Das Gegenteil ist der Fall: Auch in Palermo werden Menschen durch bewaffnete Banden umgebracht.

Später treffe ich eine zweite Gruppe von Personen, die Opfer von Gewalt geworden sind oder Angehörige verloren haben und bereits erfolgreich am Versöhnungs-Programm teilgenommen haben. Gloria* berichtet, dass sie bei „Opfer und Täter im Gespräch” erstmalig Gelegenheit hatte, wirklich von ihrem Leid zu berichten.

 


 

GLORIA ÜBER DIE TEILNAHME AN „OPFER UND TÄTER IM GESPRÄCH”.

Gloria verlor ihren Sohn wegen der anhaltenden Konflikte in Kolumbien. Im Programm „Opfer und Täter im Gespräch” kann sie zum ersten Mal vom Leid berichten, das ihr zugestoßen ist.

 

„Eine kriminelle Bande hat das Viertel terrorisiert. Am 24. Oktober 2012 sind sie von Haus zu Haus gegangen und haben von jeder Familie einen Sohn mitgenommen und später alle erschossen. Nur um zu zeigen, dass sie das Viertel beherrschen und man besser das tut, was sie sagen.” – Gloria

Auch Glorias Sohn war dabei.

Glorias Sohn war 18 Jahre alt, als er umgebracht wurde. Die Gewalt in ihrem Viertel nahm kein Ende. 2016 hat eine Bande beschlossen, jeden Tag einen Dorfbewohner umzubringen. Nach dem vierten Mordopfer kam endlich die Polizei und die Presse wurde auf die Situation aufmerksam.

Gloria wurde nach den Tätern gefragt. Sie schwieg. Sie wusste, was passieren würde, wenn sie sprechen würde. Zwei andere Frauen sagten aus. Daraufhin hat die Bande einen Mordbefehl gegen die drei Frauen erteilt, um zumindest den Rest des Dorfes zum Schweigen zu bringen.

Ein Mitglied der Bande hat Gloria rechtzeitig warnen können. Es war ein Mann, den Gloria als Kind gepflegt hat, weil seine Mutter Alkoholikerin war. Gloria konnte fliehen. Ihn kostete es sein Leben, wie sie später erfuhr.

Gloria kehrt zurück.

Nach mehreren Jahren kehrte Gloria in ihr Dorf zurück. Inzwischen hat sie Arbeit gefunden. Doch die Angst blieb. Javier, der Chef der Bande, wurde zwei Monate zuvor inhaftiert. Aber auch aus dem Gefängnis scheint er weiter zu agieren.

Gloria hilft es sehr, dass sie mit den Mitarbeitenden aus ihrer Gesprächsgruppe über alles reden kann – auch über ihre aktuelle Situation und die ihrer Kinder und Enkel, die durch all die Erfahrungen psychische Probleme entwickelt haben und selbst kriminell wurden.

Versöhnung statt Hass.

Eigentlich hatte sich Gloria fest vorgenommen, den Mörder ihres Sohnes umzubringen. Deswegen trug sie immer einen dünnen und spitzen Eisenstab getarnt als Haarnadel bei sich. Durch das Programm konnte sie ihren Hass ablegen und will nun den Täter treffen.

Auch die anderen Teilnehmenden der Opfer-Täter-Gespräche berichten, wie dankbar sie für die Unterstützung der PFC-Mitarbeitenden sind. Sie seien die einzigen, die in ihrem Viertel für sie da sind. Das helfe ihnen, die Vergangenheit besser zu bewältigen und sich auf die Zukunft zu konzentrieren.

Gloria: 3.v.l.oben.

MÄNNER AM WENDEPUNKT: EINST TÄTER, HEUTE HOFFNUNGSTRÄGER.

TAGEBUCH, TAG 3: WEITERLESEN


 

*Namen zum Schutz der Personen geändert.

*FARC und Paramilitär:

In Kolumbien herrscht seit über fünfzig Jahren mit Unterbrechungen ein bewaffneter Bürgerkrieg (auch der letzte Friedensvertrag von Juni 2016 ist inzwischen von den Beteiligten gebrochen worden). Beteiligt sind die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo, zu Deutsch: ‚Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee‘), eine linksgerichtete sozialrevolutionäre Guerillabewegung, die einen bewaffneten Kampf gegen den kolumbianischen Staat, seine Vertreter, staatliche Streitkräfte und die rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppen und Drogenkartelle führt.

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